
Wie Hinge das Online-Dating durch Daten verändert und Nutzern hilft, die Liebe ihres Lebens zu finden
Im August 2015 veröffentlichte die Vanity Fair einen Artikel, in dem sie die Hookup-Kultur heftig an den Pranger stellte. Der Autor prophezeite eine „Dating-Apokalypse“ und entlarvte die verschiedenen Dating-Apps jener Zeit. Der Artikel zeigte mit dem Finger unter anderem auf Hinge, und beschuldigte sie, „Liebe und Romantik vom Bildschirm zu wischen“.
Damals benutzte die Hinge-App – genau wie Tinder und Bumble – das Profil-Swipe-System, eine Funktion, die von der Psychologie der Spielautomaten inspiriert war. Aber im Gegensatz zu den anderen Dating-App Unternehmen begann Hinge, sich die Sache genauer anzusehen.
In einem Interview 2016 sagte der Gründer und CEO von Hinge, Justin McLeod, gegenüber der Vanity Fair, dass jener Artikel dazu führte, dass die Nutzung der Swipe-Funktion hinterfragt wurde, sowie deren Auswirkungen, die diese auf das Leben der Hinge Nutzer hatte.
Letztendlich entschied sich das Hinge-Team, ihre Entscheidungen aufgrund von Daten zu treffen. „Nur einer von 500 Swipes führte zu einem Austausch der Telefonnummern und 81 % der Hinge-Nutzer gaben an, über eine Swipe-App nie eine langfristige Beziehung gefunden zu haben“, sagt Tim MacGougan, Chief Product Officer bei Hinge.
Als die Leitung von Hinge beschloss, die Dating-App-Kultur umzugestalten, schloss sich Tim dem Produktteam an. Zudem wurden neue Tools für die Optimierung der App genutzt.
Tim und sein Team haben mit ihrer Arbeit dazu beigetragen, dass Menschen sich online kennen lernten und Beziehungen entstanden sind. Das übergeordnete Ziel von Hinge war es nämlich, dass Menschen mit Hilfe der App, die Liebe ihres Lebens finden. Dem Unternehmen war es so möglich, die gute Art der Nutzerabwanderung zu erreichen, die bedeutete, dass die Nutzer ihre Liebe gefunden haben.
Kommunikation mit Kunden
Während Hinge 2011 mit der Unternehmensgründung begann, arbeitete Tim als Kundendienstmitarbeiter bei Bonobos, dem Einzelhandels-Jungunternehmen, das mittlerweile zu einer der größten Bekleidungsmarken im Internet in den USA geworden ist. Diese Rolle half ihm einige wichtige Erkenntnisse zu seiner aufstrebende Karriere im Produktbereich zu erlangen.
„Bei Bonobos habe ich mich in die dynamisch-chaotische Startup-Kultur verliebt. Zudem war es unheimlich spannend zu sehen, wie Teams zusammenarbeiten und gemeinsam innovative Lösungen erarbeiten“, erinnert sich Tim. Eine der größten Stärken von Tim war, dass er ein gutes Gespür dafür hatte, die Bedürfnisse seiner Kunden zu verstehen, was essentiell für die Verbesserung der Customer Experience war.
„Ich hatte nicht nur Spaß am Lösen von Problemen, auch das Vorbereiten von Lösungen, die das Gesamterlebnis der Nutzer um ein vielfaches verbessern würde, hat mir riesige Freude bereitet.”
Tims frühe Arbeit im Kundenservice prägte seine Karriere im Produktbereich sehr. Sein geschärfter Fokus auf Empathie war nicht nur ein sogenannter Soft-Skill. Die Fähigkeit, verschiedene Signale von einerseits qualitativem Feedback und andererseits quantitativen Datenpunkten zu interpretieren, half ihm seine Karriere nach dem Wechsel von Bonobos bei Hinge zu steuern.
„Ein Kundenservice-Background hat Vor- und Nachteile“, sagt Tim. Der Vorteil besteht darin, dass du mit echten Menschen und Kunden sehr gut zurecht kommst und nicht nur mit Statistiken und reiner Theorie. Wenn du dir nämlich jedes einzelne Feedback zu Herzen nimmst, entstehen leistungsstarke Vorteile.
„Dies bedeutet allerdings auch, dass man doppelt so hart arbeiten muss, um die Kundengespräche mit Daten zu verknüpfen.“ Wie viele Produktteams aus verschiedenen Branchen festgestellt haben, kommt es nicht oft vor, dass Personen Unternehmen ihr positives Feedback mitteilen. Nutzer wenden sich in der Regel an das Unternehmen, wenn es ein Problem zu beheben gibt, häufig über den Support.
Dann jedoch gibt es Momente, in denen Nutzer davon schwärmen, wie sie ihre Partner über die Dating-App kennengelernt haben. Insbesondere für Hinge werden die Alltagsmomente der Freude möglicherweise nicht direkt an das Produktteam weitergegeben, sondern unter Freunden, in sozialen Medien oder in einem privateren Umfeld ausgetauscht. Selbst heute, wo „Dating“ gleichbedeutend mit Dating-Apps ist, werden Herzensangelegenheiten immer noch sehr zurückhaltend angegangen.
„Es ist wichtig, sich in die Bedürfnisse eines Nutzers hineinzuversetzen, gleichzeitig darf man dabei auch das Big Picture nicht außer Acht lassen.“
Tim schloss sich Hinge an, während sich die App noch in der Anfangsphase befand. Die hohen Erwartungen der Nutzer an ihn kamen dann doch etwas überraschend. „Bei meinem vorherigen Start-up haben wir Hosen verkauft. Im Falle eines Defektes, haben wir den Kunden lediglich einen Gutschein für eine neue Hose gegeben. Das war’s dann auch“, erinnert sich Tim.
Bei Hinge war das völlig anders. „Selbst mit der kostenlosen Mitgliedschaft von Hinge – noch bevor es überhaupt die Option einer kostenpflichtigen Version gab – haben die Menschen uns bei allem ganz genau beobachtet. Wir berührten nun mal einen sehr wichtigen Teil ihres Lebens.
Matchmaking mit größerer Genauigkeit anzubieten, setzte das Hinge-Team unter Druck. Hierfür mussten sie aussagekräftigere Daten aus der App extrahieren um zu erkennen, was langanhaltenden Beziehungen Bestand gab, was sie zusammenhielt und wie sie vorhergesagt werden können. Außerdem mussten sie sich den branchenweiten Vorwürfen der Oberflächlichkeit stellen, was eine Neugestaltung der App zur Folge hatte.
Neugestaltung für Beziehungen
Laut Tim sind effiziente Dates unter anderem eine Frage des Timings und der Kompatibilität. Was das Hinge-Team jedoch aus den Daten und den primären Erfahrungen der Menschen schöpfte, war die Erkenntnis, dass eine echte Verbindung nur schwer allein anhand von Fotos zu erkennen ist.
„Es gibt eine Menge algorithmischer Komplexität, die in das, was wir tun, einfließt“, sagt Tim. „Wenn wir jemanden empfehlen, den du mögen könntest, der aber seit drei Monaten inaktiv ist, wird eine Verabredung höchstwahrscheinlich nicht zustande kommen.“
Hinge benötigte mehr Daten und so startete das Team mit scrollbaren Profilen, durch welche Nutzer mehr Informationen hinzufügen konnten.
„Beim ersten Relaunch haben wir das, was die Leute als oberflächlich sahen, zurückgesetzt.“ Das Team entfernte die Swipe-Funktion und führte die sogenannte „Like“-Funktion für Inhalte ein, wodurch die Nutzer enthüllen konnten, was sie an einer Person außer ihres Bildes noch anziehend fanden. Nutzer vervollständigten ihre Profile durch Hochladen von Bildern und anschließender Beantwortung mehrerer Fragen, damit sie ihre Persönlichkeit besser zeigten, anstatt diese nur zu beschreiben.
„Die Absicht dahinter war, dass sich die Leute mehr auf ihre Matches konzentrieren und nicht auf die nächste Person. Im alten Swiping-Format verteilten die Nutzer viele Likes, weil sie neugierig waren, ob die oder der andere sie auch mochte und nicht aus eigentlichem Interesse an der Person selbst. Das war ein sehr schwacher Indikator, weswegen wir aussagekräftigere Übereinstimmungen aufzeigen wollten.“
Das Team entfernte die Funktion der Anonymität, damit jeder sehen konnte, wer ihn bzw. sie geliked hatte. Weiter boten sie eine erweiterte kostenpflichtige Version names “Preferred” an. „Wir verstehen Preferred als Accelerator-Tool für die Menschen, die hoch motiviert sind, alles schneller anzugehen und Personen zu finden, mit denen sie viele Übereinstimmungen haben“, sagt Tim.
Diejenigen, die sich für den Preferred-Service entscheiden, erhalten Zugriff auf das unbegrenzte Versenden von Likes an potenzielle Matches, haben Kontakt zu Hinge-Experten und die Möglichkeit, ihre Präferenzen mit zusätzlichen Filtern genauer einzugrenzen.
„Alles, was wir tun ist messbar. Von allen uns veröffentlichten Funktionen erwarten wir, dass sie bestimmte Auswirkungen haben. Das wichtigste Element dabei ist, dass wir die zu lösenden Probleme und die gewünschten Auswirkungen auf Grundlage statistischer Analysen angehen.“
Das Team verglich quantitative Daten aus der Mixpanel-Nutzeranalyse mit qualitativen Daten aus Fokusgruppen und Umfragen. Dadurch erhalten wir ein umfassendes Bild, das uns sagt was passiert ist und warum es passiert ist. Ohne das Warum sind die Daten bedeutungslos, weil sie nicht handlungsweisend sind.“
Für Tim sind Daten das ultimative Gegengewicht zu seiner ausgeprägten Kundenintuition. „Meine Bedenken sind immer, dass ich zwar überzeugen kann, jedoch falsch liege. Bei einem Produkt wie unserem, insbesondere durch sein komplexes Ökosystem in welchem alles alles beeinflusst, ist es schwierig alles beweisen zu können. Daten, die richtig verstanden werden, tragen deswegen wesentlich dazu bei, richtige Entscheidungen zu treffen.“
Während dieses Prozesses und bei jeder iterativen Änderung beobachtete das Team die Daten zum Nutzerverhalten ganz genau. Und mit diesen Nutzerdaten kam eine Fülle von Erkenntnissen darüber, was die Leute an der App gefallen hat und was nicht. Diese veranlassten das Team, Hinge umzugestalten.
Datenbasierte Optimierungen
Das zweite Neudesign drehte sich rund um die Nutzerbindung, insbesondere die der Neukömmlinge. „Wir beobachteten, dass sich auf dem Startbildschirm weniger Aktion abspielte – auf diesem Screen sahen die Nutzer eine Liste der Matches und Likes – und realisierten, dass wir die Aufmerksamkeit der Nutzer zu sehr auf deren Matches gelenkt hatten.“ Das Team stattete die Startseite dann mit mehr Entdeckungsfunktionen aus, wodurch Nutzer jedes Mal neue Personen sehen, wenn sie zur App zurückkehren.
Die Daten zeigten auch, warum mehr Matches nicht wie erwartet zum näheren Kennenlernen führten. „Wir stellten fest, dass Nutzer nur zögernd mit ihren Like-Matches in Verbindung traten, weil alle auf einer Liste dargestellt wurden.“ Die Nutzer stöbern, wählen einige aus und vergessen meistens den Rest. „Timing ist wichtig beim Dating.“
Anstatt zuzulassen, dass sich Likes ansammeln, wechselte das Team zu einer Benutzeroberfläche, auf der nur jeweils ein einziger Like-Match angezeigt wurde. „Das erleichtert die Entscheidung. Nutzer sind weniger passiv und treffen sich öfters.“ Weiter stellten sie fest, dass selbst nachdem die Nutzer sich beide mit „Like“ markiert hatten, trotzdem kein Treffen stattgefunden hat.
„Sagen wir, ich mag dein Foto und du entscheidest dich, mit mir in Verbindung zu treten. Wer jedoch beginnt jetzt den Chat?“ meint Tim. „Die Nutzer wussten das nicht, also haben wir ihnen mit der Funktion „Your Turn“ ( „Du bist dran“) einen Anstoß gegeben, wobei auf dem Profil angezeigt wird, wer an der Reihe ist, den Chat zu starten.“ Diese Funktion erhöhte die Treffer-Rate um 13 Prozent.
Das Team veröffentlichte wechselseitige Algorithmus-Empfehlungen, wodurch potenzielle Partner mit hoher Beziehungswahrscheinlichkeit gepaart wurden. Derzeit entwickeln sie Funktionen, mit denen sie aus den Offline-Erfahrungen der Nutzer lernen können und hoffen, noch genauere Einblicke zu erhalten und mehr Theorien zu testen.
Die ganze Zeit über haben sie immer ein Auge darauf, was Nutzer sagen. „Wenn wir eine neue Funktion einführen, kommuniziere ich immer mit dem Kundendienst. Ich bitte sie, uns negative Stimmungen mitzuteilen. Mithilfe von Nutzeranalysen können wir das gesamte Ökosystem beobachten, sodass wir ein Gesamtbild erhalten.“
Auf erfolgreiche Gestaltung aufbauen
Hinge startete sein zweites Neudesign mit dem klaren Ziel, die beliebteste Dating-App seiner Nutzer zu werden, und das zahlte sich aus. Im vergangenen Jahr verzeichnete Hinge ein 4-faches Wachstum seiner Nutzer. Mit Konzentration auf die Nutzerbindung verbesserten sich diese Wachstumsdaten um 20 Prozent und laut Tim geschah das mit dem Neudesign gewissermaßen über Nacht.
Hinge konzentrierte sich auf positive Interaktionen, die zu mehr und tieferen Verbindungen führten. Das wiederum zeigte sich in einer höheren Retention, denn die Nutzer kamen zurück, da sie mit den Menschen interagieren wollten, an denen sie tatsächlich interessiert waren.
„Wir wollen mehr Beziehungen und mehr Dates durch die App vermitteln. Die Kernziele des Produkts sind: Effektiv die richtigen Matches zu generieren, mit denen Menschen neue Beziehungen eingehen möchten. Letztendlich möchte Hinge geliebt werden und die App die Wahl sein für Menschen, die nach tieferen Beziehungen suchen.“
Eines der Unternehmensziele von Hinge war die „gute Abwanderung“ – Menschen, die Hinge verlassen, weil sie eine Beziehung gefunden haben. „Abgesehen von der Tatsache, dass wir uns alle um Menschen Gedanken machen und das Beste für unsere Nutzer wollen, ist es doch eine gute Sache, wenn Nutzer die App aufgrund einer Beziehung verlassen, bei der wir mitgeholfen haben sie zu finden“, erklärt Tim.
„Diese Leute sind in der realen Welt unterwegs und bekommen oft die Frage gestellt: „Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Wenn sie Hinge sagen, ist dass das bestes Marketing für uns, die authentischste Empfehlung und der größte Wachstumstreiber, den es geben kann.“
„Der Grund, warum ich gerne für Hinge arbeite, sind meine inspirierenden Mitarbeiter, die ein so bedeutungsvolles Problem mit Sorgfalt und Bedacht angehen. Wir konzentrieren uns genauso sehr auf unsere Prozesse wie auf das Produkt selbst. Wir lernen und entwickeln uns während unserer Arbeit ständig weiter.“
Das bei Hinge geschaffene App-Erlebnis ist sowohl bei Nutzern als auch bei Wettbewerbern des Unternehmens beliebt. Im Mai 2018 zeigte Facebook Hinge die ultimative Bewunderung, indem Facebook ein zukünftiges Produkt mit dem Namen Dating ankündigte, welches direkt in der App sowie Webplattform von Facebook integriert sein würde. Dieses zukünftige Produkt hatte eine ähnliche Benutzeroberfläche und Funktionen vergleichbar mit denen von Hinge. Dann, einen Monat später, erwarb IAC, das Dating-Konglomerat, dessen Portfolio nahezu alle wichtigen Dating-Apps umfasst, einschließlich Match.com, Tinder und OKCupid, eine Mehrheitsbeteiligung an Hinge.
„Wir mussten unsere bisherigen Angehensweisen komplett verändern“, sagte Joey Levin, CEO von IAC, gegenüber Reportern. „Hinge scheint bei einem sehr interessanten Publikum eine echte Anziehungskraft zu haben. Die App ist ein wirklich großartiges Produkt.“